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Kleine-Leute-Narzissmus

Bei Narzissmus denken wir vielleicht an Menschen, die sich selbst grandios finden, überall Bewunderung fordern, in Beziehungen zunächst liebevollst umgarnen und nach einer Weile ihreN PartnerIn terrorisieren. Unter narzisstischen Eltern stellen wir uns möglicherweise goldglitzernde Tennis-/Eiskunstlauf-/etc.-Mütter vor, die ihre Töchter zu Höchstleistungen treiben oder Anzug-Väter, denen keine Note ihres Sohnes gut genug ist.

Also: deine Eltern waren "kleine Leute"- und du hast sicherlich keinen narzisstischen Missbrauch erlitten.

Oder?

Ich nenne es "kleine-Leute-Narzissmus". Der kommt ganz ohne Grandezza aus. In einer Familie mit kleine-Leute-Narzissmus gibt es für die Kinder - nichts. Nicht einmal Druck für gute Noten, das Kind/die Kinder sind einfach "Nutzvieh". Funktionieren wird vorausgesetzt. Ein Elternteil oder beide haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl und tragen hohe eigene Belastungen mit sich herum. Hier wird das Kind benutzt, um den eigenen Schmerz in Schach zu halten, es dient als Projektionsfläche für die Schatten der Mutter/des Vaters/der Eltern. Es gibt keine Liebe und keine Empathie - das bedeutete Mitgefühl, doch wenn eigenes Gefühl nicht da sein darf, gibt es auch keins für das Kind. Es ist wertlos, wird kontrolliert, manipuliert, Liebe, Zuneigung ist nicht zu erringen. Im schlimmeren Fall ist das Da-sein-dürfen gefährdet.

Abhängig von den Eltern und schlichtweg klein bleibt dem Kind nichts anderes übrig, als die Perspektive des Elternteils zu glauben, sich selbst falsch, fehlerhaft, unzulänglich, nicht liebens- und lebenswert zu fühlen, die Wahrnehmung seiner Bedürfnisse einzustellen und feine Fühler für die Stimmungen und Bedürfnisse des Elternteils zu entwickeln.

Gleichzeitig wird es hinreichend versorgt - ist "satt-sauber-trocken" - so dass die Misshandlung niemandem auffallen. Ist es ängstlich, schüchtern, zurückhaltend oder sonstwie unfröhlich, liegt das am Kind, wie auch alles grundsätzlich jeweils der Fehler des Kindes ist. Die perfekt/normal/sorgende Innen- und Außendarstellung der Familie muss unbedingt erhalten bleiben.

Eine gute, kurze Zusammenfassung beschreibt Ulrike Hinrichs in Bezug auf Narzisstische Mütter.

Schwerwiegende Folgen entstehen durch die gesamte Familiendynamik: Ein Elternteil hat narzisstische Züge, der andere ist auf die eine oder andere Art schwach und nicht in der Lage, einen Gegenpol für das Kind zu bilden. Bleibt er/sie in der Beziehung, gibt es für das Kind auch keinen Trost von anderer Seite. Oft bleibt das Kind und die Familie unauffällig für LehrerInnen oder andere Erwachsene, und so gibt es auch keine Unterstützung aus dem öffentlichen Helfersystem.

Alle "Posten", die die Kinder dieser Familie einnehmen können, sind auf die eine oder andere Art auf den narzisstischen Elternteil bezogen: Dieser dominiert das gesamte Geschehen, alle ordnen sich der Gedanken- und Wertewelte des narzisstischen Teils unter. Die Kinder sind in Konkurrenz untereinander, zum narzisstischen Elternteil, ordnen sich dem schwachen Elternteil zu, viel zu gewinnen ist nicht. Vielleicht werden alle Kinder gleichermaßen Opfer. Manchmal gibt es ein "gutes Kind" und ein "böses Kind". Das "gute Kind" wird sich stark anpassen, es kann ja sehen, wie es dem anderen geht. Das "böse Kind" ist vielleicht zu klug oder zu dumm oder hat eine "inaktzeptable" Eigenschaft, es ist das zweite oder dritte oder oder...: dann wird es ausgeguckt und der Familiensaga geopfert: "Wir sind alle normal/in Ordnung/(irgendeine Eigenschaft), aber XY ist (zu) _______". Die ganze Familie sorgt dann dafür, dass das geopferte Kind so und dort bleibt - und mit seinem Leiden das familiäre Gleichgewicht erhält.

Um es deutlich zu machen, es gibt häufig Eltern, die weniger gut für die Bedürfnisse ihrer Kinder da sind, viele sind selbst stark belastet. Auch das ist für die Entwicklung nicht optimal. Der Unterschied zu narzisstischen Eltern ist das Herrschaftsgefüge. Im Gegensatz zu Überforderung findet ein Missbrauch (im Sinne von Benutzen) statt, eine aktive Abwertung, Entwürdigung und Vernichtung der Persönlichkeit des Kindes.

Jetzt endet hier der Blogbeitrag so trostlos. Doch der erste Schritt ist die Anerkennung des eigenen Schicksal: So war´s, in aller Härte. Dann kann man sich den Folgen widmen und Schritt für Schritt (endlich) den natürlicherweise vorhandenen Wert und zur Selbstliebe finden. Allermeistens stellen wir fest, dass wir (aber, tatsächlich, entgegen aller Erfahrung und Erwartung) eigentlich ganz in Ordnung sind, von anderen Menschen gemocht, anerkannt und wertgeschätzt werden, einfach weil wir so sind, wie wir sind. Schön, oder?