Skip to main content

Die Polyvagaltheorie - ausführlich

Das autonome Nervensystem (ANS) checkt unablässig die Umgebung auf SICHERHEIT oder GEFAHR ab. Sein einziges Ziel: Dein Überleben.

Nimmt es GEFAHR wahr, hat es DREI Möglichkeiten der Reaktion.

 

"GEFAHR!" kann heißen: der berühmte Säbelzahntiger taucht auf - heute eher selten. Oder: Ein Auto hupt, dein Chef raunzt, eine Markise reagiert auf Sonneneinstrahlung und setzt sich rumpelnd in Bewegung. Kommt häufiger vor.

Entwicklungsgeschichtlich neueste, leider auch komplexeste Reaktion, die nur den Säugetieren zur Verfügung steht: du nimmst Kontakt mit deinen Mitmenschen auf, sprichst über deinen Schrecken über die Markise, lächelst mal in den Rückspiegel, versicherst dich, dass der Chef eigentlich nur mal sagen will, dass heute einfach viel zu tun ist und er sich überlastet fühlt. Du entspannst dich und alles ist wieder gut.

=> VENTRALER VAGUS

Zweite Möglichkeit: Du bist schon ein bisschen drüber oder Plan A hat nicht so gut geklappt. Das Sympathische Nervensystem springt an, es kann: Kampf oder Flucht (oder Einfrieren). Du schreist den Autofahrer an, zeigst ihm einen Stinkefinger, motzt deinen Chef zurück, haust auf die Markise drauf oder verschwindest im Eiltempo aus jeder der Situationen.

=> Sympathikus

Dritte Möglichkeit, entwicklungsgeschichtlich am ältesten aus unserer Reptilienzeit, als man eher an Energiesparen dachte und nicht sehr fantasiereich war: Du stellst dich tot. Kampf und Flucht hast du versucht oder als aussichtslos erkannt. Das mit dem Chef erscheint dir sinnlos, dem Autofahrer zeigst du eine Maske und nach dem Markisenkrawall gehst du innerlich "offline". Dein Gesicht hat keine Mimik mehr, deine Bewegungen sind leblos, du kannst nicht mehr sprechen, wofür auch. Der Zustand ist so depressiv wie er klingt: Dissoziation, Passivität, Shutdown, Leblosigkeit, (gefühlte) Sinnlosigkeit.

=> DORSALER VAGUS

Aufgrund der neu erkannten Differenzierheit der Nervenstränge taufte der Forscher STEPHEN PORGES seine Theorie POLYVAGALTHEORIE.

Die Vorgänge laufen völlig autonom ab und sind willentlich nicht zu beeinflussen. Sie sind entwickelbar und veränderbar, aber nicht über Entschlüsse oder Gedanken zu lenken. Dem autonomen Nervensystem geht es auch nicht darum, ob du dich gesellschaftskompatibel verhältst oder "nett" bist - es sorgt in dieser Reaktionskette ausschließlich und gründlich für dein Überleben.

Die Prägung des ANS erfolgt in den ersten Lebensjahren. Erlebst du Beziehung und Beziehungsgestaltung über Erkennen der Bedürfnisse, deren Erfüllung oder zumindest Anerkennung; Ausgleich, Sprechen, Nähe... so ist dein ventraler Vagus ein starker Nerv mit kompetenten Methoden, du hast eher Vertrauen, dass es mit Menschen sicher ist; du hast ein gutes Gefühl für Nähe und Grenzen und siehst viele Möglichkeiten, wie man/es "wieder gut" wird.

Erlebst du Trauma, Lebensgefahr, Bedrohung, entwickeln sich deine anderen beiden ANS-Komponenten und dein Nervensystem wird eher grundsätzlich bereit für Kampf - Flucht - Totstellen. Gelernt ist gelernt.

Nun sind wir ja Menschen und unser Gehirn hat eine Neuroplastizität bis ins hohe Alter hinein - d.h. wir können umlernen.

Es braucht dann viele positive Erfahrungen, ein bewusstes Erleben von Sicherheit,  Erkennen eigener Reaktionsmuster in beide Richtungen und das Entwickeln eines Selbstwirksamkeitsgefühls. Du kannst lernen, deine Muster zu erkennen, und bewusst Strategien einsetzen, um wieder ins "ventrale Fahrwasser" zu gelangen.

In den MUM-Gruppen arbeiten wir an der Bewusstwerdung in Sicherheit. In Workshops oder in einer Infostunde für dich allein bekommst du Infos und erste Ideen, wie du dir selbst auf die Schliche kommst. In Einzelsessions kannst du dein Spektrum erweitern und ENDLICH aus deinen alten ANS-Schleifen herauskommen.